10. Systemisches Kaffeehaus in Linz – Wie reden Psychotherapeut*innen und warum…?
Über das Unbekannte, Irrationale und das Vage. Umgang und Annäherung, Anfertigung von Kompass und Landkarten.
Ludwig Wittgensteins berühmter Satz „Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen“ wird üblicherweise so verstanden, dass die Sprache eine strikte Grenze unserer Wahrnehmung darstellt; wofür ich keine Worte habe, das entzieht sich mir. Allein die Unterscheidung zwischen „von etwas“ und „über etwas“ reden bzw. nicht reden, deutet etwas ganz anderes an – zumindest als Möglichkeit. Lyrik beispielsweise spricht nicht über, schon aber von etwas oder jemandem, und will auch so rezipiert werden.
Denn Sprache ist ja nicht einfach da, ist kein fixes Repertoire, dessen wir uns halt bedienen müssen, sondern geschieht – allgemein und individuell – auch ständig neu, muss, und zwar in einem vorgegebenen Rahmen, dauernd neu kreiert werden. Das wäre, anders als bei Wittgenstein, schon Wilhelm von Humboldts Position gewesen.
Im Alltag erleben wir doch ständig, dass „etwas irgendwie da ist“, ein leibliches Empfinden, aber wir können es nicht sagen, noch nicht, müssen um Benennen ringen (Gene Gendlins „Focusing“ befasst sich genau damit). Wir probieren Umgang, sprachlich, aber auch durch „Körperantwort“, durch Varianz – z. B. von Nähe und Distanz – oder Körperhaltung. Ein Erkundungsraum, der vielleicht gar nie genau definiert sein wird. Aber dann finden wir Worte, immer vorläufig, nach dem Motto: „Jetzt passt es so.“
Psychotherapie, mit Ausnahme vielleicht der klassischen Verhaltenstherapie (und das vielleicht nur eher scheinbar), hat genau diesen „Grau-Raum“ zum Thema, wobei die Annäherung auf verschiedene Weise passiert. In der Psychoanalyse beispielsweise in der „Aufdeckung des Unbekannten“, dabei als Grenzverschiebung zwischen dem Irrationalen und dem Rationalen mit dem Ziel das Feld des Benennbaren, des „Codierfähigen“ zu erweitern oder – im Gegenteil – das „Vage“ als solches zu akzeptieren und damit umzugehen. Das wäre aus systemischer Position genau wie die „Akzeptanz von Ambivalenzen“ (eine ganz andere Möglichkeit).
Aber immer bezieht sich Psychotherapie auf den Umgang mit diesem Grau-Raum, der je nach Ideologie als zu verschiebende strikte Grenze, die auch als solche zuerst definiert werden muss, oder eben als schwer fassbare Erfahrung aufgefasst werden kann (Vagheit), die mit gesellschaftlichen Momenten (Niklas Luhmann, Peter Fuchs) in Zusammenhang gebracht und dadurch, sozusagen von außen, zumindest begriffen werden kann und mit der als Gesamtes verfahren werden muss, weil es sich eben nicht durch Aufdeckung, präzise Benennung, eben Codierung in den Griff kriegen lässt.
Sprache spielt für diese Unternehmung, den Terminus „Operation“ möchte ich hier vermeiden, eine entscheidende Rolle. Sprache ist dabei nicht nur eine Operation der Codierung, sondern im Gegenteil, sie wird gerade dort gebraucht, wo wir etwas noch nicht präzise sagen können, vielleicht nie werden sagen können oder auch wollen: „Man kann präzise sprechen oder gar nicht“, trifft hier eben nicht zu. Dieser Sprachvorgang kann nun verschiedene Richtungen nehmen: Das Übliche wäre, das Unbekannte handhabbarer zu machen, also tatsächlich die Grenze zu verschieben oder – im Gegenteil – etwas im Ungefähren zu belassen, aber damit vertrauter zu werden, es als weniger irritierend zu betrachten, es als das „Vage“ zu verwalten. Das könnte zuerst die wesentliche Unterscheidung sein, obwohl Sprache noch etwas anders kann, nämlich „ein ganz Anderes“ zu ermöglichen (Konjunktiv als Operation) oder das Offensichtliche neu zu sichten, durch Verschiebung von Bedeutung etc.
Zwei Momente interessieren dabei besonders. Zum Ersten: Wie geht Sprache dabei vor? Welche Operationen, Sprache ist ja nicht einfach beliebig, eignen sich dabei jeweils? Und Zweitens: Wie korrespondiert das mit unserem Befinden? Jenem spontanen „gut/nicht gut“, dem wir ständig unterworfen sind, und dass so möglicherweise Anschluss zu anderen – nicht im engeren Sinn sprachlichen – Vorgängen, künstlerischen beispielsweise, anregt. In dieser Erkundung können systemische Positionen und phänomenologische Beschreibungen in kreativer und nützlicher Weise aufeinandertreffen.
Helmut de Waal
Referent*innen:
Helmut de Waal
Wie reden Psychotherapeut*innen und warum…?
Über das Unbekannte, Irrationale und das Vage. Umgang und Annäherung, Anfertigung von Kompass und Landkarten.
Brigitte Lassnig
Sprache (er)finden: über das ko – kreieren im therapeutischen Gespräch
Denise Rigaud
Das psychotherapeutische Gespräch als soziales System.
Von Sprache, die ihre eigene Wahrheit in sich trägt, und dem praktischen Nutzen einer solchen Beobachterperspektive
Iris Seidler
Sprache und Vieldeutigkeit: Festlegung als Hypothese? Gedanken zur sprachlichen Feinabstimmung in der Psychotherapie.
Ort: Bischöfliches Priesterseminar, Harrachstraße 7, 4020 Linz
Termin: Mittwoch, 6. März 2024, von 9 – 16 Uhr
Teilnahmegebühr: € 54,- / € 30,- (Ermäßigung für Student*innen und Auszubildende der Fachspezifika und Propädeutika)
Rechnung wird per email zugeschickt.
Um Anmeldung wird ersucht: office@lasf.at